Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 29.03.2021 Hintergrundwissen

    Abstrakte Fotografie – Was ist das eigentlich?

    Ein Genre mit Potential oder gehaltlos und bestenfalls dekorativ? (Foto des Autors)


    Die Wurzeln der abstrakten Fotografie liegen am Beginn des 20. Jahrhunderts. Alvin Langdon Coburn (1882 – 1966) bildete ungegenständliche geometrische Lichtmuster ab, die entstehen, wenn Objekte durch ein dreiseitiges Arrangement von Spiegeln fotografiert werden. Er war es, der 1916 erstmals den Begriff abstrakte Fotografie verwendete. Die sog. „Vortographien“ Coburns waren Kompositionen ohne abbildende Merkmale. Konzeptionell folgten ihm in den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts u.a. Christian Schad (Schadographien), Man Ray (Rayogramme) und Lászlo Moholy-Nagy (Fotogramme, Fotomontagen, Fotoplastiken).
    Stark vereinfacht entwickelte sich also neben der traditionellen, bis heute überwiegenden gegenständlichen Fotografie eine ungegenständlich, abstrakte Fotografie. Zum abstrakten Foto schreibt der Fotokünstler und Fototheoretiker Gottfried Jäger 2012 „Das Foto ver- wandelt sich vom Medium (im weitesten Sinne dokumentarischen Informationsträger) zum Objekt. Es zeigt kein `Bild der Realität´ sondern wandelt sich zur `Realität des Bildes´.
    Wendet man diesen strengen Gedankengang auf Fotos an, wie sie z.Zt. in Fotoforen oder bei Fotowettbewerben unter der Rubrik abstrakte Fotografie zu sehen sind, muß man feststellen, daß die meisten dieser Fotos gar nicht abstrakt sind. Es sind oft nur z.B. geometrische Architekturdetails oder Ausschnitte maroder Fassaden/ etc. Bei den meisten dieser Fotos ist nach wie vor klar erkennbar, was abgebildet wurde. Sie sind gegenständlich.
    Als Anregung, um sich in die Materie zu vertiefen, nenne ich nur zwei Fotokünstler, die mit genuiner abstrakter Fotografie erfolgreich sind, Thomas Wunsch und Wolfgang Tillmans. Thomas Wunsch sagt in einem youtube Beitrag (s.u.): „Wenn ich gefragt werde, was ist denn in diesem Foto dargestellt, dann weiß ich, daß ich alles richtig gemacht habe“. Dieses Interview und eine kurzer Videoclip des Städel Museums über ein kameralos entstandenes Foto der Freischwimmer Serie von Wolfgang Tillmans sind ein guter Einstieg, um sich vertieft mit abstrakter Fotografie zu beschäftigen. Hilfreich mag auch der Gedanke sein, daß abstrakte Fotos keine Geschichten erzählen. Sie sind nicht informativ/dokumentarisch wie die Radioübertragung eines Fußballspiels. Für den Betrachter, der sich in ein abstraktes Foto vertieft, kann es „Musik für die Augen“ sein.

    Bernd Walz

    https://www.youtube.com/watch?v=CypvT5sNifQ

    https://www.youtube.com/watch?v=2kItf0eTaZI


    Jäger, Gottfried. 2012. Die Realität des Bildes. Gedanken zu Fotogrammen von Lászlo Moholy-Nagy. Ztschr. Stiftung Bauhaus 14: 14-16.

    Jäger, Gottfried. Abstrakte, konkrete und generative Fotografie. Stiegler, Bernd (Ed.). Wilhelm Fink, Paderborn 2016

    Rexer, Lyle (Ed.). The Edge of Vision. The Rise of Abstraction in Photography. Aperture Foundation 2013