Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 30.08.2022 Hintergrundwissen

    IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT

    Ein Film über Mode, Fotografie und Subkultur in der DDR. Kinostart: ab 6.10. bundesweit im Kino




    Im Rahmen einer Pressvorführung zeigte das traditionelle Filmtheater in Berlin „filmkunst 66“ den Streifen „In einem Land, das es nicht mehr gibt“. Der Vorstand des LV war eingeladen in die Welt der Mode, Modefotografie und der Subkultur der späten DDR einzutauchen. Gerne haben wir die Einladung angenommen, erwartungsvoll aber mit einer Frage im Kopf, die ein Defizit offenbart, das man durchaus als peinlich empfinden kann. Wie ist es um unser Wissen über die DDR bestellt - über 30 Jahre nach der Wende? Studien zeigen, dass die Unkenntnis über die DDR als Staat gerade bei jungen Menschen erschreckend ist. Die heftigen Debatten in der Nachwendezeit, haben nicht dazu geführt, dass wir viel über den Lebensalltag der DDR gelernt haben. Der Wissensstand der Älteren beschränkt sich oft auf die politische Verfassung des Unrechtsstaates, auf Schießbefehl, Mangelwirtschaft und Hohenschönhausen. Viel mehr ist da nicht zu holen.

    Wurde die DDR nach der Wende zunächst fast einhellig negativ beurteilt, kamen in den späten 90er Jahren zunehmend positive Beurteilungen auf. War der Perspektivwechsel bloße DDR-Ostalgie der Wendezeit oder knüpfte er an tatsächliche Bedingungen des DDR-Lebensalltags an? Wie lebte es sich in der DDR? Gerade der Lebensalltag in der DDR bietet viel zeitgeschichtlichen Stoff, der heute junge Leute interessieren könnte. Zeitzeugen des DDR-Alltags, die spannende Geschichten erzählen können, stehen zur Verfügung. Sie müssen angefragt und eingesetzt werden. Welche Chance bot das DDR-System den Heranwachsenden, welchen Zwängen waren sie ausgesetzt und welcher Raum wurden abweichenden Kulturen zugebilligt.

    Der Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ erzählt DDR-Geschichte aus der Modebranche basierend auf tatsächlichen Ereignissen lebendig und mit einer Unmittelbarkeit, die uns sonst nur Zeitzeugen bieten können. Spannend für alle Generationen. Er spielt in der Spätphase einer ausgelaugten aber immer noch um Anerkennung ringenden DDR, nimmt aber den schmerzhaften Transformationsprozess bereits vorweg. Wir tauchten ein in die Modewelt, Fotografie und kreative Subkultur der späten DDR, die uns so nicht bekannt war. Klar, den Namen Sibylle Bergmann hatten wir schon gehört. In der Berlinischen Galerie durften die Mitglieder des LV1 eine Führung miterleben, die uns eine Fotografin näherbrachte, die die modische Bildsprache der DDR wesentlich prägte. Wie diese Branche funktionierte und welchen Stellenwert sie im damaligen System hatte, zeigt uns erst der Film höchst anschaulich und unterhaltsam.
     
    Es gab ihn tatsächlich, den Glamour in der DDR zelebriert von der Zeitschrift Sibylle und der Luxusmarke Exquisite. Wer da mitmischen wollte, musste sich anpassen.  Er wurde vom Staat zugelassen, wenn er sich in den Dienst der sozialkritischen Republik stellte. Höchst kritisch begleitet, kontrolliert und instrumentalisiert. Die Kulturfunktionäre bestimmten darüber was akzeptabel war und was nicht.  Glamour mit offiziellem Segen, dem im Streit der Systeme eine Rolle zugebilligt wurde. Man wollte auch in Sachen Kreativität dem Westen in Nichts nachstehen. Gerade deshalb gab es für die Modemacher:innen Freiräume im Denken und Handeln, die genutzt sein wollten. Der staatsgetragene Versuch, Kreativität des Westens zu simulieren, eröffnete den Modemachern die Möglichkeit, Kreationen nach ihren Vorstellungen zu schaffen. Es galt die Kontrolleure zu überzeugen, dass das Produkt den sozialistischen Geist atmete, dann war alles gut. Der Vorzeigeglamour war allerdings nur wenigen vorbehalten. Das offizielle massentaugliche Modeschaffen der DDR traf nicht den Geschmack der breiten Bevölkerung.

    Vor diesem Hintergrund entwickelte sich den 80er Jahren in vielen Städten eine alternative Modeszene, größtenteils unpolitisch aber in Teilen auch getragen von gesellschaftlichem und politischen Protest. Es wurde in kleinen Werkstätten produziert. Der Verkauf fand auf Märkten statt. Wichtiges Element dieser Szene waren die Modeschauen, die in den 8oer Jahren die Säle füllten. Der Film kontrastiert sehr unterhaltsam die piefigen Schauen der „offiziellen“ Modemachern vor Funktionären mit den Präsentationen der subkulturellen Modemachern, die den Machern selbst und der Bevölkerung als wichtiges Ventil gegen den Anpassungsdruck dienten. Es wurde aus Duschvorhängen, Bettlaken, OP-Laken, Windelstoffen und Fallschirmseide Mode gezaubert. Zeichen der Distanz zum Staat, nicht immer Botschaft des offenen Konflikts. Man wollte das Leben genießen und zeigen wer man ist, jenseits sozialistischer Normen. Die Stasi zu ärgern, war oft nur ein willkommener Nebeneffekt. Nach dem Mauerfall gab es im Westen Interesse an dieser Subkultur, Modegruppen wurden eingeladen, gleichzeitig verfiel mit dem Ende der Mangelwirtschaft das Ökosystem der modemachenden Subkultur. Sie war ein Kind der DDR. Deshalb passt auch der Titel des Films so gut. Der Mangel war beseitigt und damit auch das Publikum weg.

    Einen Vorgeschmack auf die Geschichte möchten wir euch nicht vorenthalten. Die 18-jährige Suzie zur Fabrikarbeit verdonnert, weil sie mit dem Buch 1984 von George Orwell unerwünschte Weltliteratur bei sich trug, landet per Zufall auf dem Cover der Sibylle und darf bald Designerkleider zur Schau tragen. Sie musste ihren Wunsch nach einem Literaturstudium begraben, war aber plötzlich mit einer anderen faszinierenden Perspektive konfrontiert. Ein Mädchentraum, wie uns ihre kleine Schwester überzeugend erklärt. Der Preis, den sie dafür zahlen soll, bringt sie in arge Bedrängnis. Sie soll ein Verpflichtungserklärung unterzeichnen und wird damit zugleich den anderen jungen Frauen suspekt.  Ihr Freund der Fotograf Coyote macht rüber. Er hatte das Bild in der Straßenbahn zwischen Grünau und Köpenick  aufgenommen und steht im Film für einen Charakter, der seine Freunde für die Freiheit opfert. Der schwule Rudi, Suzies unbeugsamer Mentor, der in allem Schlechten das Gute findet, wird von der Stasi in die Mangel genommen, nachdem er versucht, seinen persönlichen Traum von Schönheit und Ruhm vor den Funktionären zu leben. Was für eine Provokation. Was für ein Mut. Die Folgen sind heftig. Als alles verloren zu sein scheint, inszenieren die Kreativen ein Fest der Phantasie und zaubern aus dem Nichts eine Kollektion ins Rampenlicht, die es so nie wieder geben wird. Jedenfalls nicht in dem vereinigten Deutschland.

    Der Film feiert die Unbeugsamkeit der Frauen in der DDR. Die Fabrikarbeiterinnen wie die Modemacherinnen. Er feiert die Kreativen, die mit innerer Stärke und Humor widrigen Umständen trotzen und sich nicht unterkriegen lassen. Er feiert das Streben nach einer Identität, die nicht genormt ist. Er feiert das pure freie Leben. Er erinnert an ein Stück Zeitgeschichte, das auch als Lehrstück geeignet ist. Wir wurden gut unterhalten und durften uns selbst kritisch hinterfragen mit vielen Einblicken in eine Welt, an die zu erinnern sich lohnt. Auch weil wir nicht mehr gewohnt sind, aus Nichts etwas zu machen. Weil wir die Freiheit für selbstverständlich halten, was sie nie sein wird. Ein Film, der sich gerade für Fotograf:innen lohnt. Es ist eben nicht alles DDR-Ostalgie.

    Die Regisseurin Aelrun Gotte arbeitete selbt als Model für die Sibylle. Grit Seymour, Ute Mahler und Frank Schäfer standen dem Filmteam beratend zur Seite. Wir denken nicht, dass man diesen besonderen Teil der DDR-Geschchte realitätsnäher abbilden kann.


    https://www.youtube.com/watch?v=UlnIpJgE8G0


    https://www.facebook.com/InEinemLandDasEsNichtMehrGibt


    Christoph Linzbach                            Dr. Uwe Hantke