Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 17.09.2022 Hintergrundwissen

    Kurator:innen...

    ...allüberall


    Das Verb „kuratieren“ hat in den letzten beiden Jahrzehnten eine steile Karriere gemacht. Die NZZ hatte sich bereits 2014 auf die Spurensuchen begeben und die Verwendung des Wortes in der Tageszeitung nachgezeichnet. „In der NZZ wurde das neue Verb erstmals 1996 erwähnt oder besser aufgespiesst. Dann folgten fünf Jahre Pause, ehe es wieder losging. Für die Zeit von 2002 bis 2013 ergibt eine Archivsuche nach dem Infinitiv «kuratieren» und nach seinen Beugungen durchschnittlich drei Treffer pro Jahr. Das ist nicht viel. 2014 indessen steigt der Gebrauch deutlich an.“

    Unter Kaiser Augustus wurden Kuratoren in der Verwaltung des Reiches immer wichtiger und ihre Aufgabenbereiche vielfältiger. Sie bildeten die Spitze eines sich langsam konstituierenden Verwaltungssystems. Man kann sie als Aufsichtsbeamte bezeichnen, die Wege und Landstrassen verwalteten oder dafür sorgen sollten, dass der Tiber nicht zu sehr verschmutzte. Es gab Kuratoren die mit Erhaltung und Ausbesserung der Wasserleitungen, Brücken, Tore, Mauern beauftragt waren und vieles mehr.

    Im  18. Jahrhundert wurde der Begriff des Kurators für einen Verwalter einer privaten Kunstsammlung gebraucht. Im 19. Jahrhundert ordneten Kuratoren große Sammlungen in Museen. Später wurden Weltausstellungen von Generalbevöllmächtigten kuratiert.

    Heute scheint von dem Wort „kuratieren“ eine ungeheure Suggestivkraft auszugehen. Anders läßt sich seine inflationäre Verwendung nicht erklären. Aktuell wird der Begriff auf immer mehr Gegenstandsbereiche ausgedehnt. Die Auslage im Modegeschäft. Der Job. Die Art wie ich mich in den Social Media präsentiere. Wohnungseinrichtungen. Mitarbeitertreffen. Am Ende bleibt kein Bereich des privaten und öffentlichen Lebens, der den ernannten oder selbsternannten Kurator:innen entkommen kann. Schaut man sich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes an, dann kommt durchaus banales zutage. Es geht darum, sich bestimmter Dinge anzunehmen. Jemand sollte sich kümmern. Das lateinische "curare" heißt sich kümmern, Sorge tragen um etwas.

    In der Kunst bedeutet kuratieren vor allem, Dinge die gesehen werden sollten, auszustellen und damit einen öffentlichen Diskurs über das Ausgestellte zu ermöglichen. Kurator:innen stellen eine Ausstellung aus verschiedenen Quellen zusammen, möglichst in einer sinnstiftenden Art und Weise. Damit ist die Gefahr verbunden, dass dem Konzept der Kurator:innen mehr Aufmerksamkeit zukommt als den gezeigten Kunstwerken. Das Kuratieren ist nicht ganz unumstritten. Soll es mehr Anerkennung und Wertschätzung geben für die Kurator:innen als für die ausgestellten Werke? Ist sein oder ihr Konzept der eigentliche Star? Die Frage ist nicht unberechtigt, da aktuell die Versuchung, sich als Kurator oder Kuratorin zu betätigen, immer mehr Akteure auf den Plan ruft. Es ist schick und attraktiv geworden, den Kurator zu geben.

    Welche Herausforderungen mit der Tätigkeitsbeschreibung Kurator verbunden sind, hat die 15. Dokumenta anschaulich gemacht. Noch auf der Vorgängerdokumenta Nummer 14 wollte man alle Kurator:innen dieser Welt in die Wüste schicken. Auf Zeit Online schrieb Stephen Heidenreich: „Kuratieren ist undemokratisch, autoritär und korrupt. Ohne Angabe von Gründen, ohne Diskussion wählen Kuratoren ihre Künstler aus und entscheiden, was wo und wie gezeigt wird.“ Mit dem Kuratorenteam  Ruangrupa sollte alles anders werden.  Man wollte für Transparenz sorgen und den herkömmlichen Netzwerken ein Ende setzen. Ein kollektiver, demokratischer Ansatz sollte in den Strukturen des Events verankert werden. Die eingeladenen Künstler:innenkollektive hatten ein Mitspracherecht bei der Verteilung der Produktionsgelder. Das Kuratorische wurde an Unterkollektive delegiert, was die Hierarchien beseitigte. Die Verantwortung diffundierte. In der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland gilt der kollektive Ansatz als vollständig gescheitert und schon wird der Ruf nach dem starken Kurator wieder lauter.

    Es gibt demnach zwei zu unterscheidende Ansätze zur Vorbereitung und Durchführung von Ausstellungen. Beide haben Schwächen und Stärken. Es ist ganz sicher falsch, einen kollektiven Ansatz als grundsätzlich ungeeignet zu bezeichnen. Die Verantwortungsfrage muss allerdings gestellt und klar beantwortet werden. Vielleicht sollten wir auch damit aufhören, das Veranstaltungsmachen politisch zu überhöhen und zu veredeln. Eine Kurator:innenkollektiv ist nicht wirklich eine „demokratische Veranstaltung".  Begriffe und Prinzipien aus dem Feld der freiheitlich demokratischen Grundordnung sind nicht auf die Kunst zu übertragen. Kunst kann politisch sein, ebenso wie unpolitisch. Vielleicht ist jede Kunst politisch. Auch ist politische Kunst wichtig. Aber Kunst und Politik sind ihrem Wesen und ihrer Funktion nach unterschiedliche Bereiche. Wenn fünf Kurator:innen eines Kollektivs für die Aufnahme eines Werkes in eine Ausstellung votieren und vier dagegen, gewinnt das Werk durch die Aufnahme in die Ausstellung keine „demokratische“ Qualität oder höhere Weihen. Auch der Auswahlprozess als solcher ist nicht demokratisch, weil die Kuratorentruppe wie der Einzelkurator ernannt und nicht "gewählt" werden.

    Kunst kann nicht politisch geadelt werden, auch wenn es an Versuchen nie gefehlt hat. Das sollten die sogenannten „demokratischen“ Kuratorenkollektive bedenken, wenn sie sich mit entsprechenden Attributen schmücken. Es reicht doch, wenn sie transparent, verantwortlich und weniger macht- und selbstverliebt arbeiten als einige Kuratorengötter. Viele Kurator:innen widerstehen diesen Versuchungen und Verfehlungen ebenfalls! Vieles wird mit Recht gefordert: Die Kunstwelt muss transparenter und zugänglicher werden. Die Macht des Kunstmarktes muss gebrochen werden. Diskurshoheiten sollten aufgeweicht werden. Die Dekolonialisierung der Kunst ist wichtig. Es geht um Dialog und Austausch auf Augenhöhe. All das sollte aber nicht demokratisch überhöht werden.

    Christoph Linzbach