Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 21.11.2022 Hintergrundwissen

    Tina Modotti…

    …im f3 Freiraum für Fotografie




    Der beliebte und gut frequentierte Ausstellungsort für internationale Autor:innenfotografie in Berlin Kreuzberg präsentiert am Ende eines jeden Kalenderjahres das Werk einer herausragenden Fotografin. In diesem Jahr fällt die Wahl auf Tina Modotti. Das Begleitprogramm zum ausgestellten Werk kann sich sehen lassen. Es begann am Abend der Eröffnung mit einer Einführung der künstlerischen Leiterin Katharina Mouratidi und wurde mit einem ausgesprochen anregenden Gespräch zwischen der Kuratorin Gisela Kayser und Reinhard Schultz, Galerie Bilderwelt, dem wohl kenntnisreichsten Modotti-Experten, fortgesetzt.

    Den beiden hätte man noch stundenlang lauschen können. Sie haben Hintergründe und Einordnungen zu bieten, die über ein Studium der  Sekundärliteratur weit hinausgehen. Sie haben dem Leben der Künstlerin in Mexiko vor Ort nachgespürt. Auch das macht ihre Darstellung so elektrisierend. Auf die noch ausstehenden Teile des Programm darf man sich freuen. Am 30. November 2022 und 1. Februar 2023 steht der Dokumentarfilm von Marie Bardischewski und Ursula Jeshel mit dem Titel Tina Modotti - Fotografin und Revolutionärin auf der Agenda. Den werde ich mir nicht entgehen lassen.

    Nur teuere Künstler werden berühmt. Einer der Sätze des Reinhard Schulz. Und wie wird man teuer? In einer Auktion bei Sotheby's erzielte 1991 eine Fotografie der Tina Modotti einen neuen Höchstpreis in der Geschichte des Mediums. 167 000 Dollar bezahlte die Esprit-Mitbegründerin Susie Tompkins für ein Rosenstillleben. Es waren schlichte, zerdrückter Rosenblütenköpfe, die Tina Modotti posthum berühmt machten. Das Wettsteigern mit Popstar Madonna half den Preis in die Höhe zu treiben. Damit war der Weltruhm der Tina Modotti begründet. Nicht die Qualität der Fotografie stand am Anfang des Hypes. Geschweige denn ihr politisches und soziales Engagement. Vielleicht alles nur ein Zufall? Madonna bewunderte Tina Modotti. Sie wollte die Hauptrolle in einem Biopic über Modotti spielen. Der Vertrag war unterschrieben. Jagged films, eine Produktionsgesellschaft im Besitz von Mick Jagger, hatte sich um die Filmrechte für die Biografie der Modotti bemüht, war aber gescheitert und damit das Projekt perdu. So geht das mit der Berühmtheit.

    1886 in Undine, Italien geboren war sie früh - im Studio ihres Onkels - mit der Fotografie in Berührung gekommen. Sie wuchs in einem Haushalt „klassenbewußter Proletarier“ auf. Ihr Vater engagierte sich in der Arbeiterbewegung. Im Alter von 16 Jahren ging sie in die USA. Sie spielte Theater und in Stummfilmen. Sie wurde besetzt in  „The Tiger's Coat“, einem Spielfilm ohne Happy End wie ihr eigenes Leben. 1920 Jahren lernte sie Edward Westen kennen, der ihr Liebhaber und Mentor wurde. 1923 gingen beide nach Mexiko und eröffneten ein Porträtstudio. 1930 wurde sie als „unerwünschte Ausländerin“  aus Mexiko ausgewiesen, konnte aber als Künstlerin aufgrund ihres zunehmenden politischen Engagements in Europa nicht Fuß fassen. Sie reiste über Berlin, wo sie Egon Erwin Kisch kennenlernte, in die Sowjetunion. Sie trat in die Sowjetische Kommunistische Partei ein. In Berlin arbeitete sie für die Arbeiter-Illustrierte Zeitung, die unter anderem ein Porträt des kubanischen Studentenführers Julio Antonio Mello publizierte, der 1929 auf dem Heimweg an ihrer Seite ermordet worden war. Anfang der 1930er Jahre gab sie die Fotografie ganz auf. 1937 engagierte sie sich in Spanien gegen den Faschismus und kam in Kontakt mit Robert Capa, André Malraux, Ernest Hemmingway, die am Spanischen Bürgerkrieg teilnahmen. Nach Mexiko zurückgekehrt starb sie im Alter von 45 Jahren an einem Herzanfall auf einer Fahrt in einem Taxi. Mythen umranken ihren Tod, doch Reinhard Schultz hält die Version Herzversagen für wahrscheinlich, weil sie lange an einer Herzkrankheit zu leiden hatte.

    Porträts der mexikanischen Bevölkerung, Landschaftsaufnahmen, Dokumentationen der Wandmalereien von Diego Rivera, dem Mann ihrer Freundin Frida Kahlo waren ihre Motive. Ihre Aufnahme sind subtil, leise, vorsichtig fotografiert und bestens durchkomponiert. Manche erinnern an Gemälde. Die Bekanntschaft mit der Fotografin Dorothea Lange bildete einen Verstärker für das bereits in ihrer Kindheit angelegte politische Denken und Bewusstsein. Das Künstlerische trat in ihrer Arbeit im Zeitverlauf immer mehr den Hintergrund. Im Gegensatz zu dem unpolitischen Weston, der in seiner Kunst aufging, widmete sie sich immer intensiver dem Kampf gegen ökonomische und soziale Ungleichheiten. Sie geht vor allem als politisch denkende und handelnde Frau in die Geschichte ein. Gut das man politisches Bewusstsein nicht versteigern kann.

    Christoph Linzbach

    https://fhochdrei.org/