Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 10.12.2022 Hintergrundwissen

    Lois Hechenblaikner…

    …und sein Blick auf eine Region im permanenten Ausnahmezustand






    Das Kunstmuseum Bern und das Zentrum Paul Klee präsentierten im Jahre 2010 eine Ausstellung über Hochmut, Geiz, Neid, Zorn, Wollust, Völlerei, Trägheit in der Kunst. Beliebte Motive nicht erst seit Papst Gregor im 6. Jahrhundert die Menschheit mit dem Kanon der sieben Todsünden beglückte.

    Der bebilderte Sündenpfuhl in Bern wurde mit einem bemerkenswerten Warnhinweis versehen: „Die Ausstellung „Lust und Laster. Die 7 Todsünden von Dürer bis Nauman“ im Zentrum Paul Klee ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet. Im Zentrum Paul Klee weisen einige der ausgestellten Werke pornografischen Charakter auf, der ihre Empfindungen verletzen könnte. Die Werke sind von schutzwürdigem kulturellem Wert.“

    Angesichts der Allgegenwart von direkten Darstellungen menschlicher Sexualität, mit der Menschen jeden Lebensalters permanent konfrontiert sind, mutet die Warnung doch etwas verfehlt an. Vielleicht ist sie Ausdruck schweizerischer Wertvorstellungen? Nein wir wollen keine Vorurteile pflegen! Schließlich gesteht der Warnhinweise der Kunst kulturellen Wert zu. Das ist doch zumindest etwas.

    Geografisch und thematisch gesehen ist der Sprung zu den Werkserien des Lois Hechenblaikner nicht weit. Er führt uns Szenen und Eindrücke aus Tirol vor, die man eigentlich nicht sehen will. Völlerei vom Gröbsten; Konsumismus könnten man auch sagen. Industriell organisierte Tourismusexzesse, die sich in übel zugerichteten Landschaften, grölenden alkoholisierten Menschen in Bodenhaltung ebenso ausdrücken wie in Trachtenklamauk und millilitergenauen Abfüllanlagen, deren verzweigte Schlauchsysteme an einen Verteilerkasten der Post oder eine Intensivstation erinnern. Es wird gefüllt, verfüllt und abgefüllt was das Zeug hält. Das alles muss man sehen, schreibt die FAZ, um seinen Anstand nicht zu verlieren.

    Aber wo bleibt der Warnhinweis? Und vor wem oder was sollte gewarnt werden? Die Profiteure dieses Systems, die die vom Abmelken der Touristen leben, meiden den Fotografen. Sie würden wohl gerne eine Warnung vor den Fotos ansprechen, wenn Ihnen das nicht zu peinlich wäre. Sie wissen genau, was sie ihrer Heimat antun und die Touristen wissen es auch. Oder sollte man gleich vom Betreten der Gebietskörperschaft Tirol warnen, die immer mehr zur Kulisse für das Spektakel verkommt?

    Erst kommt die Orgie und dann der Untergang? Nein es hilft nicht weiter den Tourismus unter Generalverdacht zu stellen und jede „Ausschweifung“ zu verdammen. Menschen lieben es, über die Stränge zu schlagen, von Regeln abzuweichen und auch mal nicht korrekt zu sein. Das Moralisieren bringt uns nicht weiter. Jede Form von Tourismus basiert auf einer Illusion. Wir alle reisen in heile Welten, die es so nicht gibt und zahlen dafür einen Preis. Aber brauchen wir wirklich einen Tourismus, der eine ganze Landschaft und Kultur ruiniert, nur um unser Bedürfnis nach Abwechslung und Unterhaltung zu befriedigen?

    Die Natur selbst schreibt uns tagtäglich Warnhinweise ins Stammbuch, konfrontiert uns mit Fakten ganz ohne Moral. Die Natur macht klar, was auf Dauer geht und was nicht. Und wenn irgendwann auch ein „nachhaltiger“ Tourismus nicht mehr geht? Es gibt kein Recht auf Tourismus, der eine Erfindung des 18. Jahrhunderts ist. Es geht auch ohne, oder nicht? Das Gejammer wird man nicht überhören können.

    Doch zurück zu den sehr eindringlichen, wirkmächtigen Fotos des Lois Hechenblaikner. Er deckt als Fotograf auf und dokumentiert. Sein Werk geht aber über das rein Dokumentarische hinaus. Zeit spielt in seiner Fotografie eine große Rolle. Er macht Werkserien über Jahre hinweg und läßt sein Bilder oft jahrelang ruhen. Jedes Bild gewinnt im Zeitverlauf und in der Verortung in der Serie an Gewicht und  Ausdrucksstärke. Vielen seiner Bilder wohnt eine Melancholie inne, die sich aus der Demaskierung des Scheins ergibt. Wir blicken in eine Leere und Stille hinter der Geschäftigkeit,  hinter der Gute-Laune-Ökonomie. Wir empfinden Trauer und irgendwo auch Mitleid mit schauspielenden Trachtenträger:innen und oft vollständig entgrenzten Touristen. Der Fotograf und Künstler gibt nicht den Mahner und Kritiker. Er zeigt uns die Realität unter der Oberfläche. Wir bekommen eine Vorstellung von dem was Sache ist.

    Er zeigt uns aber auch, dass sich der exzessive Tourismus mit seinem Konglomerat aus verkitschten Holzfassaden und gigantischen Liftanlagen erst gar nicht um Echtheit bemüht. Welche sollte das auch sein? Nein der Tourismus in Tirol gibt sich ungeniert als Fiktion zu erkennen. Er will nicht täuschen sondern unterhalten. Das funktioniert weil alle mitspielen, weil wir den Kitsch wollen, ihn als solchen erkennen und nicht mit Versatzstücken eines echten historischen Tirols belästigt werden möchten. Das wäre doch gar zu langweilig. Wer braucht schon Originale, die den Geist fordern. Das  ist zu anstrengend. Wirklichkeit ist das, woran die Menschen glauben. Das zeigt uns Lois Hechenblaikner eindrucksvoll.

    Christoph Linzbach


    https://www.hechenblaikner.at/