Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 10.01.2023 Hintergrundwissen

    Marilyn Stafford...

    ... und ihr nicht allzu bekanntes Lebenswerk









    Die Fotografin Marilyn Stafford starb an 2 Januar 2023 im Alter von 97 Jahren. Ihren Erfolg schrieb sie vor allem glücklichen Umständen zu. Sie war oft am richtigen Platz zur richtigen Zeit. “I think there are leprechauns or little guardian angels hovering over me,”. Viele solcher Glücksmomente und chancenreicher Situationen, die sie in ihrer Karriere als Streetphotographer, Porträt- und Modefotografin erfahren hat, hingen eng mit ihrer geselligen Art und ihrem Abenteuergeist zusammen. Es dauerte drei Jahrzehnte nach ihrer Pensionierung bis zur Wiederentdeckung ihrer Fotografie. 2022 gab es in Brighton eine Retrospektive und einem Bildband mit dem Titel Marilyn Stafford: A Life in Photography (2021).

    Sie wurde in Gerson in Cleveland, Ohio 1925 geboren, ging in der Nachkriegszeit nach New York, um als Schauspielerin zu arbeiten. Es war die schiere Notwendigkeit, die Miete zahlen zu müsssen, die zu ihrem ersten Engagement als Fotografin führten. Oder besser gesagt zu einem Engagement als Assistentin des Fotografen Francesco Scavullo.

    Ihr Begabung als Sängerin verschaffte ihr einen Job im Kabarett Club Chez Carrère, wo sie Robert Capa und Henri Cartier-Bresson kennenlernte.  Capa lud sie ein, mit ihm zu arbeiten, aber der Krieg war nicht ihr Ding. Stattdessen schloss sie sich Cartier-Bresson an. Streetphotography lag ihr deutlich mehr und unter seiner Anleitung entwickelte sie ihre Fertigkeiten als Fotografin weiter.

    Als Porträtfotografin kamen ihr die unterschiedlichsten Persönlichkeiten vor die Linse. Angefangen mit dem Wissenschaftler Albert Einstein, der Sängerin Edith Piaf, dem Modell Twiggy, der Schauspielerin Sharon Tate, dem Schauspieler Lee Marvin bis zu dem Schriftsteller Alberto Moravia. In der Regel fotografierte sie nicht im Studio sondern im häuslichen Umfeld.

    Ihre Karriere als Fotografin begann mit Albert Einstein eher zufällig. Ein erstes Porträt. Sie hatte nie zuvor eine 35mm Kamera in der Hand gehalten und gab zu, keine Idee von dem zu haben, was sie gerade tat: “All I was aware of was that I had to focus and click the shutter,”. Die Situation beschrieb sie wie folgt: “Albert Einstein was absolutely lovely. He was dressed in baggy pants and a sweatshirt. He was completely at ease and made us feel the same. My friends filmed him, he talked and I snapped. It was all very understated.”

    Als Modefotografin war sie eine der ersten, die Outdoor-Bekleidung von der Stange in den Straßen von Paris fotografierte. In ihrer fotojournalistischen Karriere fotografierte sie Flüchtlingskinder in Tunesien, die sich der Brutalität des Algerienkrieges zu entziehen versuchten. Sie widmete sich dem Alltagsleben von im Libanon lebenden Menschen, Tieren in einem indischen Kuhstall und Indira Grandi im Wahlkampf. Sie war Augenzeugin bedeutender und manchmal turbulenter sozialer und politischer Umwälzungen in der neueren Geschichte. Ihr Stil war geprägt von ungestellten zufällig wirkenden Aufnahmen, die gleichwohl perfekt durchkomponiert sind.

    Zwischen den später 1940er Jahren bis in die 1980er Jahre lebte und fotografierte sie in New York, Paris, Rom, Beirut und London. In London gründete sie gemeinsam mit dem französischen Fotografen Michel Arnaud eine Agentur, die auf Modefotografie spezialisiert war. Es war die Modefotografie mit der sie ihr Geld verdiente. Als Künstlerin widmete sie sich sozialen Themen. “Photography when used honestly is a witness, a powerful record of human experience,“

    Als sie sich in den 1980er Jahren als Fotografin zurückzog, geriet ihr Werk in Vergessenheit. Mit trockenem Humor sagte sie einmal: “Photographers don't grow old, they just grow out of focus,” In den letzten Jahren wurde sie wiederentdeckt und wieder vermehrt wertgeschätzt. 2017 ging der Marilyn Stafford FotoReportage Award an den Start: „The Marilyn Stafford FotoReportage Award, facilitated by FotoDocument and supported generously by Nikon UK, is granted annually to a professional womxn photographer towards the completion of a compelling and cohesive documentary photo essay, which addresses an important social, environmental, economic or cultural issue, whether local or global.“

    Der Guardian überschrieb seinen Nachruf wie folgt: „Photographer whose exceptional portfolio spanning decades of conflict, fashion and celebrities reflects her extraordinary life.“

    Christoph Linzbach