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  • 16.04.2023 Hintergrundwissen

    ALLES ANDERS MACHEN – DAS KURZE LEBEN DER OST-TAZ


    Der Dokumentarfilm ALLES ANDERS MACHEN – DAS KURZE LEBEN DER OST-TAZ feierte am 16.04.2023 Weltpremiere beim 19. achtung berlin Filmfestival in der Sektion Berlin Spezial im Kultkino Babylon .

    Die Veranstaltung war "ausverkauft", jeder Zentimeter Kino mit Sitzmöglichkeiten zugestellt, was angesichts des doch recht kurzen, nur drei Monate dauernden, historischen Moments und dieses wenig beachteten Ausschnitts deutscher Zeitgeschichte, dem sich der Film widmet, überraschen mag. Die Resonanz war überwältigend und mehr  als gerechtfertigt, denn die bislang nicht zusammenhängend erzählte Episode aus der Wendezeit steht in vieler Hinsicht beispielhaft für die Erörterung der Frage, ob gerade im Bereich der Medien und des Journalismus mehr Integration, Kooperation und gegenseitige Befruchtung zwischen West und Ost möglich gewesen wäre, statt weitgehender Übernahme und Assimilation. Die Zuschauer können nacherleben, wie unterschiedliche journalistische Kulturen, Weltsichten und Mentalitäten in den drei Lebensmonaten der Ost-taz aufeinander prallten. Und was aus der Energie wurde, die diese kurze hochintensive Phase des journalistischen Arbeitens und Lernens bei vielen Journalist:innen aus dem Osten Deutschlands erzeugte.

    Wer einen ersten Eindruck davon bekommen möchte, wie 1990 zeitnah in der taz medienspezfische Themen der Wendezeit reflektiert wurden, wird im taz Archiv fündig. Am 18.04.1990 wurde der Beitrag „Angst vor dem Fliegen“ von Hannes Schmidt veröffentlicht. Am 07.11.2009 erschien der Artikel über „Ostmedien nach der Wende“ mit dem Titel „Gnadenlos gemühlfenzlt“, der mit dem Satz einsteigt: „Wie hätte der Osten den Westen verändern können!“ Viel mehr ist bei einer ersten Recherche im Netz nicht zu finden. Umso wichtiger der Film! Der den Zuschauern ermöglicht, ein Stück Wendezeit wiederzuentdecken. Und damit den Abgleich, wie sich die Bewertung der Wendezeit im Zeitverlauf verändert hat und heute darstellt. Es war die Rede davon, dass man sich als Ostler heute kaum mehr vor Westlern retten kann, die die ostdeutsche Lebensleistung anerkennen wollen. So haben sich die Sichtweisen geändert.

    Der Film zeigt auf, was uns verlorenen gegangen wäre, wenn sich der Regisseur Michael Biedowicz nicht vehement gegen das Vergessen gesträubt hätte. Ein Zitat aus dem Tagesspiegel im Vorfeld der Premiere macht deutlich, das der Regisseur mit dem Film selbst bei den Größen der Journalistenzunft Erstaunen erzeugt hat:

    „Warum weiß ich das nicht? Weiß keiner, oder?“ Überrascht nimmt die Reihe großer Männer des wiedervereinigten deutschen Journalismus, darunter Giovanni di Lorenzo und Hans-Ulrich Jörges, das dicke grüne Buch mit Hammer und Sichel auf dem Einband entgegen, den Michael Biedowicz ihnen in seiner Dokumentation „Alles anders machen – Das kurze Leben der Ost-Taz“ über den Tisch reicht. Der Band versammelt alle Ausgaben des Zeitungsexperiments, das nur knapp drei Monate andauerte" 

    Die wichtigen im Film etwas hilflos wirkenden Persönlichkeiten sind leider nicht zur Weltpremiere erschienen.

    Der Film versucht nicht, das ganz große Rad deutsch-deutscher Mediengeschichte der Wendezeit zu drehen. Es ist kein politischer Erklärfilm, der die fundamentalen strukturellen Veränderungen der Medienlandschaft im Osten zum Gegenstand hat und den Zuschauerinnen näher bringen möchte. Gleichwohl spielt die erzählte Episode vor dem Hintergrund fundamentaler Veränderungen, mit denen damals vor allem die ostdeutschen Journalist:innen konfrontiert waren und und zu tun hatten. Da der eigentliche Grund für das Ende der OST-Taz im Wegfall ihres Geschäftsmodells in der Folge der Währungsreform lag, liegt hier am Ende dann doch das Verbindungsglied zur Politik. Es gelingt dem Film, den politischen Rahmen gut dosiert und eher nebenbei anklingen zu lassen. Das Hintergrundrauschen der großen Poltik ist zu spüren. Klugerweise wird sie nicht auserzählt.

    Der Film handelt im Kern von der Geschichte der OST-Taz, ihrer Journalistinnen und Journalisten. Vielleicht könnte man sie als vergessene Held:innen der Wendezeit beschreiben, die euphorisch nach den Sternen greifen wollten. Gestritten wurde in der Redaktion viel und heftig, nicht nur über eine Liste mit Immobilienobjekten der Staatssicherheit; vor allem mit den Kolleg:innen der westdeutschen Taz. Sollten die eingeschliffenen Erzählungen über die DDR fortgeschrieben werden oder galt es eine „neue“ Sicht auf dieses Land und sein Menschen zu entwickeln. Man wollte sich nicht die Welt von den Westlern erklären lassen, aber auch kein Organ der DDR-Opposition sein. Das Experiment atmete den Geist der Demokratie, scheiterte, war aber nicht vergeblich. Demokratie ist ein Prozess, den wir nur durch ständige an Werten und Idealen orientierte Ausgestaltung, durch Versuch, Erfolg und Scheitern am Leben erhalten können. Jeder der Beteiligten ging erfolgreich seinen Weg. Heute sollten wir die Episode der OST-Taz als Lehrstück nehmen, in die Schulen und Universitäten tragen.

    Ein großer Dank geht an den Macher, hartnäckigen Antreiber und Regisseur Michael Biedowicz, der 1990 als Fotoredakteur zur „Ost-Taz“ kam. Er stand neben anderen an diesem wunderbaren Abend als Zeitzeuge und aktiver Mitgestalter einer vergessenen Episode deutscher Mediengeschichte aus der Wendezeit für Rückfragen zur Verfügung.
    Der Jubel und die Anerkennung galt dem ganzen Team!

    Christoph Linzbach