Das Berlin ein vergleichsweise guter Platz für Künstlerinnen und Künstler ist, auch und insbesondere in Zeiten der Pandemie bedarf der Erklärung. Ist doch die Not des Kulturbetriebs auch in Berlin unverkennbar. Die in Sizilien geborene Fotografin Valentina Murabito sagte 2020 in einem RBB Interview: "Ich bin sehr, sehr zufrieden hier in diesem Moment als Künstlerin zu leben." Viele ihrer Kolleginnen und Kollegen in Italien oder auch anderen Ländern, befänden sich in weitaus schwierigeren Situationen. “Also man kann schon froh sein, hier zu leben.“ Mal abgesehen von der Lebens- und Arbeitsqualität, die Berlin vielen Künsterlinnen und Künstlerinnen ohne Zweifel bietet, mag die versöhnliche Aussage auch damit zu tun haben, dass Valentin Murabito bei ihren fotografischen Arbeit mit Schutzkleidung einschließlich mit Maske unterwegs ist. Aber das ist nur eine Vermutung.
Die Fotografin ist eine experimentelle Künstlerin aus tiefster Überzeugung und setzt sich in ihrem Werk mit Fotografiegeschichte ebenso auseinander wie mit Fragen der Theorie der Fotografie. Sie sucht gezielt den Dialog mit anderen Kunstformen wie der Malerei. Zwei Eindrücken kann man sich beim Betrachten ihrer Werke nicht entziehen. Sie liebt die Uneindeutigkeit und Interpretationsoffenheit als Ausdrucksform und pflegt bei ihren Experimenten ausgiebig das Handwerkliche des fotografischen Prozesses. Die Chemie gehört dazu, mit Maß und Methode, die über den Einsatz diese Hilfsmittels in der klassischen analogen Fotografie noch hinausgehen.
Valentina Murabito findet Anregung in fotografietheoretischen Aussagen wie der des Walter Benjamin, dass ein Foto durch die Reproduzierbarkeit seine Aura verliert. Ebenso in experimentellen Arbeiten bekannter Pioniere der Fotografie wie den Bewegungsstudien des Eadweard Muybridge, die bereits Francis Bacon 1961 als Vorlage und Anregung für sein Gemälde „Paralytisch child walking on all fours (from Muybridge)“ dienten. Ästhetisch gesehen greift sie in einigen Werken auf die steinzeitliche Höhlenmalerei zurück, was seine Entsprechung darin findet, dass sie ausschließlich analog mit einer uralten Kamera fotografiert. Ihre Fotografie ist im wahrsten Sinne des Worte langsam und archaisch.
Die Haptik und das Manuelle im fotografischen Prozess spielen für sie eine wichtige Rolle. Sie fertigt ausschließlich Unikate. Fehlern, die sich während des Herstellungsprozesses ihrer Fotoexperimente einschleichen, gewinnt sie eine ästhetische Qualität ab. Sie sind Ausdruck und Beleg ihres Strebens nach einer nicht reproduzierbaren Fotografie. Einerseits geht sie, was das Handwerkliche angeht, zurück zu den Wurzeln der Fotografie gleichzeitig will sie die Grenzen der Fotografie ausloten. 2016 wechselt sie das Medium und geht weg vom Barytpapier. Seit über 10 Jahren arbeitet sie bereits an Techniken, mit denen sich auch Metall, Beton oder Holz belichten lassen.
Besonders spannend finde ich ihre expliziten Anleihen bei mittelalterlichen illustrierten Bestiarien. Sie greift den moralisierenden Impetus der Tierdarstellungen auf, die die Aufgabe hatten, Menschen zu belehren. Die guten Eigenschaften der dargestellten Tiere und Fabelwesen standen sinnbildlich in Zusammenhang mit dem Ideal eines guten Christenmenschen. Valentina Murabito ersetzt die religiös motivierte Heilslehre durch die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit im Umgang mit Flora und Fauna. Sie fotografiert Schäfer auf Sizilien, die seit Jahrhunderten bis zum heutigen Tag ihre Schafe in extensiver Weidewirtschaft halten und damit das Gegenmodell zur Massentierhaltung darstellen.
Ihre aktuelle Ausstellung MYTHOS UND MAGIE läuft noch bis zum 03.07.2021 in den Räumen von Ingo Seufert - Galerie für Fotografie der Gegenwart in München und ist geöffnet Mi–Fr 14-19 Uhr, Sa 11–15 Uhr und nach Vereinbarung. Wer mehr über diese wunderbare Künstlerin wissen will, kann sich ihre Präsentation bei der Deutschen Fotografischen Akademie als Video ansehen oder auf ihre Website schauen.
In Berlin ist sie auch bald zu sehen: