Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 23.02.2022 Hintergrundwissen

    Christa Mayer bei Hartmann Books

    Die fotografierende Psychotherapeutin fotografiert ihre Mutter, ihre Schwester und sich selbst.




    Wer derzeit den Namen Christa Mayer googelt, stößt auf die Angabe psychologische Psychotherapeutin und den Hinweis auf ihre aktuelle Ausstellung im Haus am Kleistpark, in der sie Fotografien ihrer Mutter, von sich selbst und ihrer Schwester präsentiert. Wer ihr gegenübersteht, sieht und erlebt eine schmale, lebenskluge drahtige Frau, letzter Kriegsjahrgang, mit eindringlichem Blick und hellwachem Geist, die intensiv aber nicht ausschweifend erzählt. Sie verwebt kunstvoll die private und berufliche Seite ihrer Lebensgeschichte. Nicht als lange verschlungene Erzählung sondern stichprobenartig präsentiert sie Etappen, Umbrüche, Chancen und Erlebnisse aus ihrem Leben. Es bleibt nicht Zeit genug, das alles zu ordnen. Hartmann Books macht das Nacherleben und Reflektieren der Begegnung mit Christa Mayer mit einem Bildband möglich. Nach der Führung durch ihre Ausstellung wünscht man sich in der Tat ein gutes Buch, in dem man das Erzählte, Gezeigte und das in der Ausstellung Nichtgezeigte in Ruhe studieren kann.

    Sie berichtet von ihrem Verhältnis zu ihrer Mutter, das zunächst von Spannungen geprägt war. Es fällt das Wort Rebellion. Nach dem Tod des Vaters, begibt sie sich auf eine Entdeckungsreise. Sie gewinnt ihrer Mutter immer neue Seiten ab, entdeckt ihre Schönheit und die vielen Geschichten, die sie zu erzählen hat. Der neue Blick auf die Mutter, rückt diese in den Mittelpunkt und tut der alten Frau sichtlich gut, weiß Christa Mayer zu berichten. Die Fotografin erzählt von ihrem Streben nach Emanzipation und ihrem Atelier in den USA. Es elektrisieren die Einblicke, die sie uns erzählend in die Tätigkeit als „fotografierende Psychotherapeutin“ gibt. Ihre Worte zeugen von ihrer Anteilnahme am Schicksal hoch belasteter Menschen, ihrem beruflichem Engagement und ihrer Genugtuung über ein damals  in der Psychiatrie allmählich zur Geltung kommendes  neues Menschenbild und neue Behandlungsmethoden. Letzteres wird im Haus am Kleistpark nicht bebildert, macht aber einen wesentlichen Teil des Werkes der Fotografin aus.

    Das C/O Berlin präsentierte 2016/2017 die Ausstellung Kreuzberg – Amerika.  Die Geschichte, Einflüsse und Auswirkungen der legendären Berliner Schule für Fotografie in Kreuzberg wurden erstmals gezeigt. Unter vielen bekannten Namen wurde auch Christa Mayer mit der Serie „Abwesende: Porträts von einer psychiatrischen Langzeitstation (1982–86)“ gezeigt.

    Im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie (EMOP) im Jahre 2018 zeigt das Atelier Kirchner neuere, zwischen 1990 und 2010, entstandene analoge Schwarzweiß-Fotographien von Christa Mayer. Aus der Eröffnungsrede von Andrè Kirchner am 21. September 2018: »Mit Christa Mayer betritt eine ebenso eigensinnige wie einfühlsame Fotografin die Bühne meines Ateliers. … Christa Mayer ist eine Pendlerin zwischen den Welten, im Wortsinn hälftig in Kalifornien und Berlin mit ihrem Mann lebend, in ihrer Fotografie ebenso in Landschaft wie im Porträt zu Haus. Sie ist geradezu eine Mittlerin zwischen einander oft genug ausschließenden oder gar befeindenden Welten…“

    2002 stellte das Museum Sammlung Prinzhorn Heidelberg zwei konträre fotografische Sichtweisen auf Patientinnen von psychiatrischen Einrichtungen gegenüber. „Anonyme Fotografien aus der Anstalt Weilmünster aus der Zeit von 1905 bis 1914 begegnen fotografischen Porträts von Langzeitpatient/innen, die Christa Mayer ab 1982 aufgenommen hat. Dem rein wissenschaftlichen, auf Diagnose fixierten Blick zu Beginn des vorigen Jahrhunderts steht in der Ausstellung eine künstlerische Position der Gegenwart gegenüber. Die Psychologin Christa Mayer hat in den 80er und 90er Jahren mit teilnehmendem Blick Patientinnen einer Berliner Psychiatrischen Klinik porträtiert, in der sie selbst tätig war. Im Vergleich der Aufnahmen zeigt sich die gewandelte Sicht auf psychische Erkrankungen.“ Die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg ist ein Museum für historische Werke aus psychiatrischen Anstalten sowie von heutigen Psychiatriepatienten.

    Was für ein Glück, dass wir Verlage in Deutschland haben, die sich mit Engagement und Kompetenz dem Werk solcher Künstlerinnen annehmen. Der Verlag Hartmann Books kündigt aktuell den Bildband Christa Mayer: Meine Mutter, meine Schwester und ich mit den Worten an:

    Christa Mayer (*1945) konnte sich als eine von wenigen Frauen im Umfeld der legendären, von Michael Schmidt gegründeten, Kreuzberger »Werkstatt für Photographie« behaupten. Bekannt wurde sie durch ihre Aufnahmen aus der geschlossenen Langzeitpsychiatrie, wo Mayer für Jahrzehnte als Psychotherapeutin arbeitete. Die Aufarbeitung des weitaus größeren fotografischen Lebenswerkes, das auch Landschaftsaufnahmen, Inszenierungen und abstrakte Kompositionen umfasst, hat gerade erst begonnen.

    Ausstellung
 Haus am Kleistpark, Berlin, 18.01. – 13.3.2022

    Es bleibt also noch etwas Zeit und/oder man kauft das Buch für 28 Euro. Laut Auskunft des Verlages ist das Buch ab jetzt im Buchhandel bestellbar. Ob und wann das Lebenswerk von Christa Mayer aufgearbeitet wird und dann vielleicht auch bei Hartmann Books erscheint, hängt wesentlich von der Künstlerin selbst ab. Ein umfassender Bildband wäre sicherlich ein großes Geschenk für uns alle!

    Christoph Linzbach



    https://hartmann-books.com/produkt/christa-mayer-meine-mutter-meine-schwester-und-ich/