Fotografie News - Landesverband Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern

  • 28.07.2023 Wettbewerbs- und Ausstellungshinweise

    "Was erzählen Fotografien? Albert Dieckmanns Bilder aus dem besetzten Osteuropa 1941/42"

    Ausstellung im Museum Berlin-Karlshorst e.V.

    Es sind farbige Aufnahmen von malerischen Landschaften mit arbeitenden Menschen, Bauern und Kindern vor ärmlichen, aber pittoresken Bauernhäusern und Stadtansichten. Typische Amateuraufnahmen einer Reise durch ein unbekanntes Land irgendwo im Osten. Aufnahmen, wie sie Fotoamateure auch heute noch millionenfach in den sozialen Medien posten. Auffallend ist das hohe technische Niveau der farbigen Aufnahmen, die wohl auf dem erst 1935 patentierten „Agfacolor Neu Farbumkehrfilm“ fotografiert wurden.

    Wären da nicht immer wieder Soldaten der deutschen Wehrmacht auf den Bildern zu sehen. Oft in verstörenden Szenen lachend und sich z. B. vor einer brennenden Scheune oder Behausung ausruhend. Wäre nicht auch der Amateurfotograf selbst ein Wehrmachtssoldat im Offiziersrang. So stellt sich – und das tut diese sehr sehenswerte und gut kuratierte Ausstellung – die Frage nach der Freiwilligkeit des Posierens vor der Kamera und danach, was den Fotografen bewegte.

    Die Aufnahmen stammen von dem Arzt und Amateurfotografen Albert Dieckmann (1896-1982), der 1941 als Stabsoffizier in die kurz zuvor von der Wehrmacht blutig okkupierte Sowjetunion versetzt worden war. Er fotografierte neben seiner Tätigkeit als Wehrmachtsarzt bis 1942 in Belarus, Russland und Polen. Mehr als 380 Farbdias von Albert Dieckmann befinden sich seit 2007 in der Sammlung des Museums Berlin-Karlshorst. Eine Auswahl von 40 dieser Farbfotos zeigt die Ausstellung.

    Im Gegensatz zu üblichen Fotoausstellungen kontextualisiert sie die Bilder umfassend. Dazu wurde mit Hilfe von Archivrecherchen der Einsatz des Radfahr-Wachbataillons 48 (B) rekonstruiert, in dessen Stab Albert Dieckmann als Arzt diente. Diese Einheit unterstand seit Juli 1941 verschiedenen Kommandanten des rückwärtigen Armeegebiets. Diese sogenannten Korücks verwalteten die besetzten Gebiete zwischen Gefechtsgebiet und den rückwärtigen Heeresgebieten. Ihre Aufgabe war die Sicherung von Nachschubwegen, Versorgungsstützpunkten, Eisenbahnlinien und Nachrichtenverbindungen sowie die Bewachung und der Abtransport von Kriegsgefangenen. Die den Korücks unterstellten Einheiten waren an diversen Verbrechen an Kriegsgefangenen und an der (jüdischen und nichtjüdischen) Zivilbevölkerung beteiligt, so auch das Radfahr-Wachbataillon 48 (B).

    Die Ausstellung ist aus zwei Gründen besonders: Sie greift die verstörende Frage, wie kann jemand, der mit Soldaten in ein Land einmarschiert, die dort schlimmste Kriegsverbrechen verüben, „nebenbei“ scheinbar unbeschwerte, „touristische“ Fotos schießen? Sie beantwortet diese Frage nicht, sondern fragt weiter, was dachte der Fotograf, als er dies oder jenes fotografierte, warum wählte Albert Dieckmann diese Motive und was fotografierte er nicht? Erhellend sind beispielhaft eingearbeitete Zitate aus Archivdokumenten uns aus Briefen, die Albert Dieckmann während seines Einsatzes an seine Frau schrieb.

    Die Ausstellung zwingt dazu, sich quellenkritisch mit den Bildern auseinanderzusetzen.  Albert Dieckmann war ein Fotoamateur und mag sein Hobby als unpolitisch angesehen haben. Rückblickend haben die Arbeiten eine große Relevanz erhalten. Der Fotograf muss das geahnt haben, denn er hatte seine Wehrmachts-Dias bis zu seinem Tod weggeschlossen und die Kamera nicht mehr angerührt. Erst sein Sohn fand sie wieder und ermöglichte so ihre kuratorische Aufarbeitung.

    Die Ausstellung läuft noch bis zum 17. Dezember 2023 und kann zu den Öffnungszeiten des Museums besucht werden (Di-So 10-18 Uhr, Mo geschlossen).

    www.museum-karlshorst.de

    Zwieseler Str. 4, 10318 Berlin

    Foto: Smolensk, August 1941 © Museum Berlin-Karlshorst, Foto: Albert Dieckmann.

    Text: Thomas Scharfstädt